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Richtig nett: Mit den Netwalkern in Franken

  • von Michael Meinert
  • 26 Juli, 2019
Beeindruckend: Das Städtchen Pottenstein in Oberfranken. Foto: Iris Heymann

Das Volk entsteht

Und es begab sich im Jahre des Herrn MMXIX im Städtchen Pottenstein im Fränkischen, dass sich versammelt hatte eine Schar von Reisenden, die von weither gekommen waren, aus großen Städten wie Frankfurt und Mainz, auch aus kleineren Flecken wie Wiesbaden, Darmstadt oder Kelkheim. Sie wollten der Sommerfrische frönen, weitab des lärmigen Treibens ihrer Heimat, sich in der Natur ergehen und in der Ferne Neues entdecken.

Da näherte sich ihnen ein kleiner Mann, ganz in schwarz gewandet. Schwarze Stiefel, schwarze Beinkleider, ein schwarzes Wams, ein schwarzer Hut aus Filz, eine Geldkatze am Gürtel und daneben ein Schwert. Er grüßte freundlich, auch vom Bischof in Bamberg, und erbot sich, die Reisenden durch sein Heimatstädtchen zu geleiten und ihnen allerlei zu berichten. Thomas sei sein Name, und er lebe hier seit 500 Jahren.

Wundersames wusste er zu erzählen. Von der tausendjährigen Burg, die auf hohen Felsen über dem Städtchen thront. So hoch, dass man gar einen Drei-Meeres-Blick habe: Man sehe das Häusermeer, am Abend das Lichtermeer, und, so die Nacht anbreche, gar nichts mehr. Thomas, seines Zeichens Stadtherold, erzählte von seinen guten Freunden, dem Nachtwächter, dem Scharfrichter und dem Totengräber, und überbrachte immer wieder die herzlichen Grüße des Bischofs, was die Herzen der Reisenden immer wieder erfreute.

Thomas erläuterte den staunenden Fremdlingen, dass seine Landsleute, die stolzen Franken, alles andere als Bayern seien. Ihre Bäche und Flüsse, Püttlach, Wiesent, Regnitz, Pegnitz oder wie auch immer geheißen, flössen doch schließlich via Main und Rhein in die Nordsee. Bayerische Gewässer hingegen strebten der Donau zu, die wiederum dem Schwarzen Meer, und das sei ja noch nicht mal eines.

Er tat ferner kund, warum die Pottensteiner Esel genannt werden, und dass sie darauf eigentlich stolz seien. Schließlich lasse sich der Esel nicht wie das Pferd gehorsam vor jeden Karren spannen, sondern habe seinen eigenen Willen.

Und mit steigendem Wissen kam auch die Zeit, in der die Schar aus Frankfurt, Mainz, Wiesbaden, Darmstadt oder Kelkheim, die erneut die Grüße des Bischofs dankbar entgegengenommen hatte, zum Volk werden sollte. Anteil an diesem Wunder hatte die heilige Elisabeth von Thüringen, die vor 800 Jahren einige Zeit auf der Burg Pottenstein weilte. Sie war den Armen zugetan und unterstützte jene nach Kräften. Eines Tages war sie mit einem Korb voll Brot unterwegs, um es an die Bedürftigen zu verteilen. Der Burgvogt, solchem Tun abgeneigt, stellte sie und wollte empört wissen, was denn wohl in dem Korbe sich befinde. Elisabeth sagte, es seien Rosen, und so war es plötzlich auch. Der Vogt musste auf eine Bestrafung verzichten.

Der Stadtherold erzählte dies und anderes - Trauriges wie Schönes - aus dem Leben Elisabethens. Und wenn er sagte, „das Volk ist traurig“, so senkten die Reisenden die Köpfe und stießen Wehlaute aus. Und wenn der Herold verkündete, „das Volk freut sich“, so hoben alle die Arme gen Himmel und jubelten. Und beides taten sie danach häufig und gerne bei vielerlei Gelegenheit, auch als der Herold längst gegangen war. Denn aus den Reisenden war ein Volk geworden.   

Das Volk wandert

Und es trug sich zu, dass das Volk in den nächsten Tagen mehr jubelte denn wehklagte. Denn die Pfade rund um Pottenstein, auf denen es fürderhin wandelte, waren gar anmutig. Durch liebliche Täler ging es zu einem Himmelspfad nahe der Wolken, dann tief hinab zu einer teuflischen Höhle, einst als Eingang zur Hölle und Behausung riesiger Bären gefürchtet. Doch lang ist’s her, der Teufel wirkt an anderen Orten, und die wackeren Reisenden zeigten keine Bange.

Nach der Nachtruhe führte der Weg weiter durch Tiefen und Höhen zu einer platten Ebene hinauf, wo gar ein hölzerner Turm zu Besteigung und gefälligem Ausblick einlud. Viele viele Meilen waren es, und das Volk am Abend ermattet.

Mit frischen Kräften wurde am kommenden Tag eine Schlucht bezwungen, wo vor Zeiten Bären ihre Heimstatt hatten. Vorbei an bizarren Felsen, die ehedem vom Wasser des Meeres umspült waren, kamen die Wanderer zu zwei steinernen Türmen, deren einen sie nicht ohne Müh und Last, aber ohne Wehklagen, erklommen. Alle gelangten unversehrt wieder hinab, und das Volk jubelte. Ebenso in einem Ort mit mächtiger Kirche, wo es sich an perlendem Wein mit Rosenessenz labte und barocke Gestalten bewunderte.

Die Reise neigte sich dem Ende zu, die Herberge wurde verlassen, doch der Weg der Wanderer ging noch eine Weile weiter. An finsteren Höhlen vorbei, durch sonnige Wiesen, auf denen pelzbedeckte Tiere weideten, die einigen der Reisenden wohl recht unbekannt aber sehr liebreizend erschienen und ihnen daher laute Jubelrufe entlockten. Mit freudiger Erregung ward auch die Himmelsleiter erklommen, ein Turm aus Metall, der sich Schwindel erregend in die Höhe schraubte - bevor sich die Schar in alle Winde zerstreute, um nach Frankfurt und Mainz oder kleinere Flecken wie Wiesbaden, Darmstadt oder Kelkheim zurückzukehren. Da war das Volk recht traurig, doch der Gedanke an weitere gemeinsame Reisen ließ es vor Freude jubeln.

Epilog: Das Volk feiert

„Der Stadtherold sagt immer die Wahrheit“, beteuerte der wackere Thomas, nachdem er erneut die Grüße des Bischofs übermittelt hatte. Und hob an, das Lob des Bieres zu singen, insbesondere des fränkischen Bieres. Glaubt man ihm, und das muss man ja, gibt es keinen gesünderen Trunk auf Gottes Erde. Müßig für den Chronisten, all die Wohltaten aufzuzählen, für deren Ausmalung Thomas ein gut Quantum Zeit benötigte. Das Volk jedenfalls vernahm’s mit Freude, jubelte und schickte sich bereits am frühen Abend an, die Worte des Herolds zu beherzigen. Im Biergarten stellte sich schnell das bernsteinfarbene Kellerbier als besonders labend heraus, aber auch der Höhlentrunk war nicht zu verachten, obgleich es ihm, wohl der Dunkelheit seines Herkunftsortes geschuldet, an Farbe mangelte.

Man besuchte den gastlichen Ort ein ums andere Mal, und als eines Tages

das Fass leer ward und der Kellertrunk statt fröhlich aus dem Hahn zu fließen sich zum schaumigen Rinnsal wandelte, da war das Volk über alle Maßen traurig.

Gottlob gab es noch weitere Stätten, der Gesundheit zu dienen. Dort kredenzte man - in wesentlich kleineren Bechern - auch eine Fülle anderer Flüssigkeiten mit absonderlichen Namen wie Bärwurz, Marone oder Hochmoorgeist, von denen viele der Reisenden aus Frankfurt, Mainz oder kleineren Flecken wie Wiesbaden, Darmstadt und Kelkheim, noch nie etwas vernommen hatten. Diese Trünke seien ebenfalls außerordentlich gesund, versicherte der Wirt; jedoch ist er kein Stadtherold. Gerade der Hochmoorgeist sei die reine Arznei, und geht man von der Menge Alkohol aus, die in ihm enthalten, so müsste er elf Mal gesünder sein als Bier. Der Stadtherold wird es bezweifeln, aber er konnte nicht befragt werden. Denn er war mit seinen Freunden unterwegs -  dem Nachtwächter, dem Scharfrichter und dem Totengräber.

© Michael Meinert


PS.  Die Netwalker sind die Mitglieder einer Xing-Gruppe, die sich regelmäßig in wechselnder Besetzung zu Tageswanderungen oder mehrtägigen Ausflügen treffen. 

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